"Dieser Lehrplan ist ein einziges Sammelsurium von Schlagworten"

 

An den Hauptschulen wurde zu Beginn dieses Schuljahres ein neuer Lehrplan ausgegeben. Pädagogik-Professor Marian Heitger ist entsetzt über die Ausführungen.

 

WIEN. "Lehrer und Schüler sind hoffnungslos überfordert." Sie können, so fährt Marian HEITGER fort, gar nicht all die aufgezählten Ziele des neuen Lehrplans für die Hauptschulen befolgen - Ziele, die noch dazu mit ungeklärten Begriffen und Allgemeinplätzen beschrieben werden. HEITGER, emeritierter Erziehungswissenschaftler und Nestor der Wiener Uni-Pädagogik im Gespräch mit der "Presse": "Der Lehrplan ist ein einziges Sammelsurium von Schlagworten."

HEITGER kritisiert vor allem die 18 Seiten umfassenden allgemeinen Aussagen über die Aufgaben der Schule, die in die Teile "Allgemeines Bildungsziel", "Allgemeine didaktische Grundsätze" und "Schul- und Unterrichtsplanung" gegliedert sind. "Widersprüche und Unsicherheiten, Unklarheiten gepaart mit Bevormundungen kennzeichnen den Text", befindet der Erziehungswissenschaftler generell, bevor er auf einzelne Textstellen eingeht.

Unter den Aufgaben des Unterrichts werden alle gängigen Schlagworte aufgezählt, befindet HEITGER, und stößt sich insbesondere an dem Auftrag zum "offenen Lernen". "Der Begriff steht mit sich selbst im Widerspruch: Entweder Schüler werden unterrichtet, oder sie machen, was sie wollen." Alle würden unter "offenem Lernen etwas anderes verstehen, entweder einen Fächerwechsel oder daß sich der Lehrer den Fragen der Schüler öffnet oder daß die Schüler selbst den Unterricht bestimmen. "Es ist ein modischer Begriff ohne klare Vorstellung, wie dabei der Unterricht erfolgen soll."

Unpräzise Vorgaben ohne jede Erläuterung ortet HEITGER bei der Aufforderung zu interkulturellem Lernen und bei der Aussage, "auf die Rechte der Schülerinnen und Schüler bei der Gestaltung des Unterrichts Bedacht zu nehmen". Es folge nämlich keine Andeutung, wie das gemeint sei. "Das ist ein reines Schlagwort", so der kritische Uni-Professor, "bei dem man nur modern erscheinen will."

Der Lehrplan betont jene drei Kompetenzen, über die die Jugend nach der Schulzeit verfügen soll, das sind Sachkompetenz, Selbstkompetenz und Sozialkompetenz. Diese Fähigkeiten, die Bildungsministerin Elisabeth Gehrer seit Jahren betont, kommen bei HEITGER schlecht weg: "Warum spricht man von Kompetenzen und nicht von Werthaltungen?" Begriffe und Güter wie Tradition, Bildung und die eigene Kultur würden vernachlässigt und kommen in den Lehrplanzielen nicht mehr vor.

"Der Lehrer fragt sich, was mit dem sprachlichen Durcheinander und dem gänzlichen Fehlen irgendeiner Systematik gemeint sein kann." Marian HEITGER über die Bildungsziele im neuen Hauptschullehrplan

Die Aufgabe der Schule, so HEITGER, sei nicht Wohlbefinden zu erzeugen, sondern zu lehren und zu erziehen - "wobei sich natürlich die Schüler wohlbefinden sollen". Die Schüler sollten die Ziele eher durch Freude am Erkennen als durch "organisatorische Mätzchen" erreichen.

Die Zusammenfassung des Erziehungswissenschaftlers: Die Lehrplanüberlegungen würden dem gleichen Fehler wie Politik und Gesellschaft erliegen, nämlich der Schule aufzubürden, was sie selbst nicht zu leisten in der Lage sind. "Der Text erliegt der Gefahr, die Schule als Instrument zur Beseitigung gesellschaftlicher und politischer Mängel zu benutzen."